Das Eltern-Kind-Zeitgeist-System

„Die Eltern wollten frĂŒher Grenzen ĂŒberwinden, Kinder wollen Grenzen haben“: Diplom-Psychologe Jens Lönnecker. Foto: Gerd Metzner

„Die Eltern wollten frĂŒher Grenzen ĂŒberwinden, Kinder wollen Grenzen haben“: Diplom-Psychologe Jens Lönnecker. Foto: Gerd Metzner

In der zweiten Tagesrunde widmete sich Diplom-Psychologe Jens Lönnecker, GeschĂ€ftsfĂŒhrer von rheingold salon, der Frage, wie Kinder heute eigentlich ticken. Seine zentrale Hypothese lautete: Eltern und Kind bilden ein System – das Eltern-Kind-Zeitgeist-System.

Wie funktioniert dieses System? Der Satz: „So, nun geht mal schön spielen“ etwa sei heute obsolet. Heutzutage seien wir als Erwachsene „hinter den Kindern her“, wir wollten „alles wissen“. Die Beziehung zu Kindern sei partnerschaftlicher und mehr auf Augenhöhe als frĂŒher. Wenn Kinder heute scheiterten, erlebten sich gerade MĂŒtter selbst als gescheitert.

Gemeinsam scheitern

Wenn Kinder heute scheiterten, verlören sie die Liebe und die WertschĂ€tzung ihrer Eltern. Es herrsche ein permanenter Druck. Erwartet wĂŒrden Wunderkinder: Supersportler, Ballettprinzessinnen, Musiziertalente etc.

Dies widerspreche nicht der Tendenz, dass andererseits Bindungen und Beziehungen in der Individualgesellschaft zusehends verloren gingen. Gerade dieser drohende Bindungsverlust lasse Eltern mit den Kindern mitleiden. Am Ende zĂ€hlten vor allem individuelle Schönheit und Ästhetik – individuelle Leistung.

Dabei beeinflusse der Zeitgeist, welche Inhalte das System aktuell bearbeite und welche Formen und Codes es verwende, erlĂ€uterte Lönecker. Zum Beispiel, wenn es um Marken und Trends gehe. Kinder wĂŒrden Marken kennen (Apple iPhone, Nintendo ec.) und sie aktiv einfordern. Lönnecker meinte auch: „Eltern sehen die Welt mit Kinderaugen und legen die Rahmen fĂŒr Kinderentscheidungen fest. Erst innerhalb dieses Rahmen entscheiden die Kinder ĂŒber Details.“ Anderseits sĂ€hen Kinder die Welt auch mit den Augen der erwachsenen. WĂŒnsche wĂŒrden mit den Vorstellungen der Eltern abgestimmt.

Grenzen und FreirÀume

Lönnecker konstatierte, den Kindern wĂŒrden heute weniger Grenzen gesetzt. Die Folge seien zum Beispiel – vereinfacht gesagt – VerhaltensauffĂ€lligkeiten und Übergewicht bei Kindern. Seine Hypothese: „Die Eltern wollten frĂŒher Grenzen ĂŒberwinden, Kinder wollen Grenzen haben.“ Dieses Einfordern der Grenze erfolge aber oft indirekt. Lönnecker plĂ€dierte geradezu fĂŒr Grenzen: „Sie schaffen Entlastung und vertraute RĂ€ume. Grenzen stimulieren KreativitĂ€t.“ Andererseits forderte er die Eltern auch auf, den Kindern FreirĂ€ume zu lassen (etwa beim Spielen am Computer etc.) und ihnen nicht permanent ĂŒber de Schulter zu blicken.

Erwachsenenaugen – Kinderaugen. Verlust an Bindungen – starkes Mitleiden. Grenzen setzen – und FreirĂ€ume lassen. Scheint, im Umgang mit Kindern heute ist dialektisches Denken mehr gefragt denn je.